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DESIGNBLOK 2018 | it’s a celebration

Aktualisiert: 13. Nov. 2020

Vom neuen Selbstbewusstsein der jungen tschechischen Designszene


#tbtdesignblok2018 Es wuselt aufgeregt auf dem Vorplatz des Ausstellungsgeländes “Výstavište” im aufstrebenden Prager Stadtteil Holešovice. Vor dem imposanten Jugendstilgebäude aus dem Jahr 1891 drängen sich am Eröffnungstag des DESIGNBLOK interessierte Besucher vor den Ticketschaltern. Hip sehen sie aus, extravagant gekleidet, die Nasen vom typischen Oktober-Nieselwetter gerötet, dabei ausgenommen fröhlich.


Der DESIGNBLOK 2018 überrascht mit Anspielungen auf den 100. Jahrestag der Gründung der unabhängigen Republik Tschechoslowakei. Auch der Prager Architekt Jan Rosický zelebriert dieses für die Tschechen so wichtige Datum mit symbolträchtigen Installationen sowie einer verspielten Installation: einer aufblasbaren Riesenrutsche samt Bällebad. Als sollten die Besucher beim Durchqueren der großen Halle zwischen Superstudio im rechten und Openstudio im linken Gebäudeflügel eine Verjüngungskur durchleben. Und tatsächlich, die Aussteller der größten und wichtigsten Designmesse Tschechiens sind überdurchschnittlich jung. Design spielerisch vermitteln, so lautet das erfolgreiche Credo der Direktorin Jana Zielinski: „Die Highlights rund um unser Jubiläumsjahr konzentrieren sich in unserer Designérie, einer Erlebnis- und Spiele-Installation, die eine Fantasiewelt ganz im Sinne des Jubiläums unseres DESIGNBLOKS kreiert, der unter dem passenden Motto CELEBRATION steht.”


Während sich im Superstudio das Who’s who der internationalen Designszene die Klinke in die Hand gibt, geht es im Openstudio deutlich ausgelassener zu. Gut 100 Studenten, Absolventen und junge Kreative – etwa ein Drittel aller Aussteller – präsentieren hier in selbst gestalteten Ausstellungsboxen ihre originellen Ideen aus den Bereichen Produkt-, Mode-, Schmuck- und Grafikdesign. Fast alle stammen aus Tschechien. Und sie alle scheinen den Leitgedanken verinnerlicht zu haben: sie wollen feiern, ihre Ideen und Konzepte mit den Besuchern zelebrieren.

Grund dazu gibt es für sie in der vibrierenden Designwelt dieser Tage mehr als genug. Mehr und mehr kreative Youngsters erobern sich ihren Platz in der aufstrebenden Designszene Prags. Das Ausstellungsgelände in Holešovice verwandelt sich seit 1998 jedes Jahr im Oktober in ein Mekka für Designliebhaber. Die Messe mit ihren zahlreichen Side-Events, Pop-Up-Shops und Partys strahlt dabei auf die gesamte Stadt aus und wird mittlerweile bei Weitem nicht mehr nur von einem interessierten Fachpublikum wahrgenommen. Dies belegen auch die kontinuierlich steigenden Besucherzahlen. Mehr als 50.000 Designfans pilgern jedes Jahr auf das Ausstellungsgelände. „Als der DESIGNBLOK vor 20 Jahren zum ersten Mal stattfand, waren Design und Ästhetik nicht gerade in den Köpfen der Menschen verankert”, erinnert sich Jan Wolf, Stadtrat in Prag. Heute hingegen sei das Design ein wichtiger, fast unverzichtbarer Teil des tschechischen Alltags freut sich Wolf.

Kaum eine Überraschung für diejenigen, die diesen Hype allein in Prag über die letzten Jahre verfolgt haben. Die Veränderungen sind allerorten sichtbar: Überall schießen kleine Galerien und Manufakturen aus dem Boden, junge Designerkollektive mischen den lange selig schlummernden Markt auf und nutzen leerstehende Fabrikhallen oder Brachen für ihre ambitionierten Projekte. MeetFactory, Manifesto Market oder Vnitroblock sind keine “böhmischen Dörfer” oder Geheimtipps unter Eingeweihten mehr. Vielmehr haben sich in den einzelnen Vierteln Prags regelrechte Hubs entwickelt, in denen sich die nationale und internationale junge Szene zum Feiern, Essen, Trinken und Shoppen, aber auch zum kreativen Austausch und Gestalten, zum Yoga, Tanzen und Fermentieren trifft. In kaum einer anderen europäischen Metropole ist die kreative Energie derzeit so überbordend spürbar wie in Prag. Kaum ein anderer Ort wandelt sich so rasant. Ob Mode, Produktdesign, Möbel, Grafik oder Kunst - die jungen Tschechen machen Europa derzeit vor, wie Design geht. Neben festen Größen wie Lucie Koldova, Daniel Piršc oder Klára Nademlýnská sorgen allen voran die junge Nachwuchsriege für Furore.


Die heutige Generation tschechischer Designer beschreitet ihre eigenen Wege und hat gegenüber den Akteuren der vergangenen Jahrzehnte ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt. Das spiegelt sich in mutigen und tabulosen Kreationen wider, wie in Anna Marešovás erotischem Hilfsmittel Whoop.de.doo. Design heißt heute auch Selbstbestimmung anstelle von Bevormundung durch den Staat. Das kreative Schaffen unterliegt keinerlei Zwängen mehr, ein freies Denken wird von allen Seiten gefördert und auch honoriert. So prämiert das Stiftungsprogramm Design Cabinet CZ im Rahmen von New Go(o)ds – Young Czech Design seit vielen Jahren die besten studentischen Arbeiten ein erprobtes Sprungbrett für die Karriere ambitionierter Nachwuchsdesigner. Ehemalige Preisträger wie Jan Ctvrtník fertigen mittlerweile Entwürfe für IKEA oder die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA an.


Ein Motor für die positive Entwicklung des tschechischen Designs ist die mit dem Fall des samtenen Vorhangs im Jahre 1989 gewonnene geistige Freiheit. Ein weiterer die damit einhergehende Entwicklung der heutigen Bildungslandschaft. Das Design von Möbeln, Glas, Textilien oder Schmuck spielte bereits im 20. Jahrhundert eine große Rolle für die tschechische Industrie. Klingende Namen wie Jindrich Halabala oder Jirí Pelcl stehen für diese Zeit. Letzterer ist außerdem Mitbegründer der Akademie für Kunst, Architektur und Design UMPRUM in Prag. 2019 feiert die Akademie mit sechs Fakultäten und 23 Studios ihr 30jähriges Jubiläum. Die meisten tschechischen Designer, die den Durchbruch schaffen, kommen aus einer dieser Werkstätten. Der DESIGNBLOK wiederum bietet eine optimale Bühne für den Nachwuchs, um sich mit dem Status quo zu messen und breitenwirksam auf sich aufmerksam zu machen. Dieses schlummernde Potenzial haben inzwischen auch die Industrie und die Medien für sich entdeckt, sodass in dieser kleinen feinen tschechischen Kreativlandschaft immer wieder spannende Kooperationen entstehen.

Ein Beispiel dafür, wie erfrischend unkompliziert Design funktionieren kann, ist die junge Designerin Michaela Horejší, deren Studio NATUREZA bekannt ist für Polsterwaren mit Naturmotiven: „Ich wollte meinen Traum leben und mein Traum war es, Innenarchitektin zu sein. Also habe ich an der Design-Akademie studiert und nun bin ich Innenarchitektin.” In Horejšís Atelier in der Prager Altstadt gibt es nicht nur Kissen zu kaufen, sie entwickelt von dort aus auch Wohnkonzepte und berät Interessierte in wöchentlich stattfindenden Workshops zur Wohnraumgestaltung mit kleinem Budget.

Im Stadtteil Letná auf der anderen Seite der sich durch Prag schlängelnden Moldau konzentriert sich seit einigen Jahren eine spannende Community rund um die Straße Veverková. Im Bistro 8 genießt man hausgemachte Pasteten, Limonaden und Kaffee in entspanntem Ambiente. Hier treffen sich – unweit der Nationalgalerie und der Akademie der Bildenden Künste – Einheimische und Touristen nach einem Bummel durch die ausgefallenen Designshops abseits von Mainstream und Eliten. Das Page Five ist Buchladen und Verlag für Kunstbücher, Zeitschriften und Originaldrucke. Gegenüber findet man im Garage Store Sneaker, Vinyls und ausgesuchte Plattenspieler. Daneben stellt Kristyna Javurkova in ihrem Showroom Jakoby ihre neuesten Modeentwürfe aus Wolle, Leinen und Seide aus. „Die Rückkehr von Poesie durch Design” – unter diesem Motto entwirft Architektin Helena Darbujánová ihre märchenhaften Möbel, die es ein paar Häuser weiter zu kaufen gibt. In diesem Straßenzug Prags wird der tschechische Designgeist greifbar. Das Besondere dabei: Der Besucher erfährt diese neue Selbstverständlichkeit von verspieltem Design ganz nebenbei als Alltagserlebnis. Design wird zum Lifestyle.


Einen Schritt weiter geht man in dem kleinen unscheinbaren Laden und Atelier KVARTÝR im angesagten Prager Stadtteil Žižkov. Mehrere Designerinnen nutzen die kleine Fläche gemeinsam als Werkstatt und Showroom, um ihre Kreationen zu präsentieren. Eine von ihnen ist Lucie Telecká. „Hinter der Marke L/U stehen die Faszination für das traditionelle Handwerk der Gerber und Taschner sowie der Wunsch, Produkte zu kreieren, die dank der sorgfältigen Verarbeitung von haltbaren Materialien Jahrhunderte überdauern”, erklärt die junge Designerin ihren Ansatz. Im KVARTÝR habe sie sich mit Gleichgesinnten zusammengetan, um das authentische tschechische Handwerk wiederaufleben zu lassen und ein Statement gegen den unreflektierten Wegwerfkonsum zu setzen. Verarbeitet werden von den Mitgliedern des Kollektivs nur umweltverträgliche Materialien. „So entstehen Einzelstücke mit Charakter”, ist sich Telecká sicher.

Mit dem steigenden Interesse von Konsumenten, Medien und Industrie wird die Entwicklung eines eigenständigen, modernen tschechischen Designs gestärkt und unablässig vorangetrieben. Schon jetzt eröffnen sich immer mehr Möglichkeiten und das kreative Schaffen wird ständig professioneller. Bleibt zu hoffen, dass die jungen Wilden sich ihren Sturm und Drang bewahren, um den nachfolgenden Generationen den Weg zu ebnen, und den Geist des Aufbruchs und der Unabhängigkeit nicht verlieren.

Stardesigner Jaime Hayons Rede im Rahmen des DESIGNBLOK bringt die Quintessenz des tschechischen design thinking auf den Punkt: „Design bedeutet, Qualität, aber auch Spaß in jeden meiner Entwürfe zu bringen.” Dabei spreche er nicht von Humor um des Humoristischen willens. Vielmehr wolle er Freude in das Leben der Menschen bringen, die seine Designs verwenden. Bei einem Rundgang über den DESIGNBLOK, aber auch beim Durchstreifen der Stadt und Bummeln durch die kleinen Läden, Werkstätten und Galerien Prags wird dieses Gefühl ganz deutlich: Freude am Design. Sich selbst nicht allzu ernst nehmen, das Leben genießen – und ganz im Sinne des Mottos CELEBRATION den Augenblick gebührend zu feiern.


DESIGNBLOK // FAKTEN

  • Ort | Prag, Tschechien

  • Gelände | Výstavište

  • Dauer | 5 Tage

  • Besucher | > 50.000

  • Aussteller | 343

DESIGNBLOK // SCHWERPUNKTE

  • Möbel & Interieur

  • Licht & Leuchten

  • Glas- & Objektkunst

  • Couture & Mode

  • Produktdesign



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